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Der Toten gedacht

16.11.2020

Gemeindebürgermeister Bernd Köppen hat am Volkstrauertag am 15. November gemeinsam mit den Ortsbürgermeistern, dem Vorsitzenden des Gemeinderates und Vertretern der Bundeswehr der Gewaltopfer in aller Welt gedacht. Die Veranstaltung war bedingt durch die EInschränkungen der Coronapandemie nicht öffentlich.

Die Rede des Bürgermeisters kann hier nachgelesen werden:

Heute ist der 15. November 2020.
Volkstrauertag.
Heute legen wir Blumen und Kränze nieder, um an die Millionen von Toten zu erinnern, die in den Kriegen ihr Leben lassen mussten.
Wir nehmen uns eine Stunde, um unser Gewissen zu beruhigen, um etwas getan zu haben.
Es ist Volkstrauertag und doch trauert das Volk nicht.
Nicht um die Söhne, Brüder und Männer, die in Verdun oder vor Stalingrad blieben.
Nicht um das Leben und die Toleranz.
Wir leben unser Leben in Frieden.
Scheinbar.
Denn dieser Frieden ist brüchig.
Tag für Tag brechen wir ihn mit schnellen Fingern auf Tastaturen und mit nicht immer reflektierten und sachlich fundierten Aussagen.
Wir laden nicht die Waffen mit Patronen.
Nein.
Wir ballen unsere Fäuste und erzeugen ein Getöse, dass die Stimme des Anderen verklingen lässt.
Wir hören nicht mehr zu und wollen doch, dass uns andere zuhören.
Sind wir so dem Kriege heute nicht schon näher als dem Frieden?
Diese Fragen sollten wir uns stellen.
Gerade heute, gerade an dieser Stelle.

Wenn ich auf diese Pyramide schaue, dann sehe ich nicht nur kalten Stein. Ich sehe die Herzenswärme, mit der dieses Ehrenmal einst errichtet wurde.

Ich sehe die Tränen der Mütter, der Frauen und Kinder, ich sehe den unbedingten Willen zum Frieden, zur Toleranz.
Die Inschriften auf diesem Stein erzählen uns so viel und doch hören wir nicht zu. Wir nehmen es beiläufig hin, wie den Frieden.
Dabei machten es uns die Soldaten am 24. Dezember 1914 bereits vor. Sie schlossen einen Weihnachtsfrieden über die Köpfe ihrer Befehlshaber hinweg. Sie tanzten auf von Bomben zerklüfteten Feldern, beschenkten sich und zeigten, dass wir als Menschen mehr sind als das, was unsere Herkunft und unsere Meinung über uns vorzugeben scheint. Es herrschte damals für einige Tage Frieden und Toleranz mitten im Krieg.
Frieden und Toleranz waren es auch, was die Gründungsväter beider deutscher Staaten nach dem zweiten Weltkrieg für immer wollten.
Wir haben heute scheinbar vergessen, was unsere Vorväter nach dem Krieg für unsere Zukunft forderten.
Das Aushalten anderer Meinungen, auch, wenn sie einem selber fremd sind.
Heute erleben wir, dass diese Forderung die Zeit nicht überdauert hat.
Es ist ein trügerischer Frieden, weltweit.
Ein Frieden unter dessen Oberfläche vieles brodelt.
Wer der Toleranz Grenzen setzt, der fordert die Intoleranz.
Gerade in unseren Zeiten, in denen ein Virus für die einen Gefahr und für die anderen Einschränkungen verkörpert, sind wir neuen Ehrenmalen näher als uns bewusst ist. Und während wir schon wieder Ehrenmale für die Opfer von Terroranschlägen errichten, gießen wir tagtäglich bereits fleißig weitere Fundamente.

Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin!
Diese Aussage eröffnet einen Raum, der nicht nur philosophisch ist.
Er ist real und wir sollten uns wieder in ihm bewegen.
Stell Dir vor, es ist Unverständnis und wir reden darüber.
Stell Dir vor, es ist Hass und wir lernen uns kennen.
Genau das hätte schon weit vor 1914 geschehen müssen.
Unverständnis offen begegnen, Vorurteile und Hass durch Kennenlernen ausräumen, dann hätten wir heute hier nicht stehen müssen.
Die Bereitschaft dem Gegenüber zuzuhören war damals nicht vorhanden und wird heute auch immer kleiner. Das ist beängstigend.
Heute am Volkstrauertag trauern wir nicht allein um die Kriegstoten, Vertriebenen und jene Bundeswehrsoldaten, die im Ausland ihr Leben gaben. Wir trauern um die Demokratie, um den Pluralismus, darum, dass Meinung ohne eine moralische Verurteilung nicht mehr möglich ist.
Das mag pathetisch klingen und doch ist es nur rund sieben Flugstunden von uns entfernt bereits Realität.
Dort wird in der Demokratie geTRUMPelt, verfälscht, die Gesellschaft gespalten.
Als Deutsche kennen wir die Situation eines gespaltenen Landes. Wir kennen die stetige Gefahr, Brüdern mit Waffen gegenüberstehen zu müssen. Und doch ist 30 Jahre nach dem Mauerfall von diesen beängstigenden Vorstellungen nichts mehr geblieben. Heute stehen wir uns wieder gegenüber. In Parteien, in Meinungen, bei Intoleranz.
Stell Dir vor, es ist Frieden und alle schärfen die Säbel.
Darum lasst uns an diesem Tag nicht allein der Toten gedenken.

Lasst uns für Frieden mahnen.
Nach innen, wie nach außen.
Hören wir uns wieder zu, ganz frei, ganz ohne Vorurteile.
Lasst uns miteinander reden, uns tolerieren, auch, wenn wir die Meinung des Gegenübers nicht akzeptieren.
Nur so lässt sich Frieden sichern.
Frieden für uns, unsere Kinder, Enkel und weltweit.
Stell Dir das einmal vor.